Regenbogenfamilie: Christian

Vom Coming Out bis zum Kinderwunsch: wie alles begann
Ich sehe heute noch meine Mutter weinend auf dem Sofa. Wir schreiben das Jahr 1998, ich gerade 18 Jahre alt und habe mein “Coming Out” im heimischen Wohnzimmer. Mein Vater versucht cool zu sein, das klappt irgendwie auch. Ich denke nur, warum weint Mama, ich habe endlich einen Freund und weiß was ich will. Ich wollte es jetzt der ganzen Welt erzählen.

Meine Mutter weinte, da sie sich doch so sehr einen Enkel wünscht. Ich hatte allerdings mit 18 noch gar keinen Kinderwunsch. Ich konnte das einfach gar nicht verstehen.

Nach der Jahrtausendwende zog ich nach Berlin und führte diverse Beziehungen. Wie man das in einer Großstadt eben so macht. Nach einer längeren Beziehung und diversen zwischendurch lernte ich Norman kennen, meinen heutigen Lebensgefährten. Wir sind seit 2005 ein Paar. Meinerseits wuchs der Kinderwunsch, da wir nun ein geordnetes Leben hatten mit “double income, no kids”. Letzteres wollte, anfangs nur ich, gern ändern.

Regenbogenfamilie: Christian

Norman arbeitete in einem Biomarkt im Prenzlauer Berg und lernte dort die verrücktesten Menschen kennen. So auch Thomas und Ingmar, Väter zweier Adoptivkinder. Neugierig wie ich war, trafen wir uns schnell und wir lauschten ihrer Geschichte. Adoptieren, USA, teuer, wow.

Das wollten wir auch, aber wie bezahlen? Es brauchte einen anderen Plan.

Fluchtgedanken, heiße Schokolade und viele Treffen: die Mädels

Auf der Suche stießen wir am 26.1.2012 auf Familyship.org. Die erste scheinbar seriöse Seite für gleichgeschlechtliche Familienplanung. Schnell eine Anzeige getippt und auf Nachrichten gewartet. Es sollte kaum Zeit vergehen, da kamen die Mails. Völlig überfordert schrieben wir den meisten zurück. Klar, als “Spender” konnte man sich die Frauen(paare) fast aussuchen. Aber die meisten hatten Vorstellungen, die nicht mit unseren kompatibel waren. Wir wollten auch Väter sein, nicht nur Spender oder ein Onkel.

Bei einem verheirateten Pärchen aus Mahlsdorf stellte sich dann schnell eine Sympathie heraus. Aus Nachrichten wurden längere E-Mails, aus E-Mails schnell Telefonate. Wir verabredeten uns auf einen Kaffee in einem Berliner Einkaufszentrum, sicher sehr nervös und mit Fluchtgedanken. Man weiß ja nie, wer da kommt.

Es war toll! Wir saßen, redeten und tranken heiße Schokolade. Man wollte sich gar nicht mehr trennen. Viele weitere Treffen folgten und wir wurden uns immer sicherer: Das sind unsere Mädels.

Per Bechermethode zum Erfolg

Was tut man als schwuler Mann, bevor man sein Sperma spendet? Ein HIV-(und Co.)test musste her. Die Mädels waren eh schon besorgt, da wir einen recht lockeren Lebensstil führten. Da alles in Ordnung bei mir war, konnte es losgehen. Wir probierten die Bechermethode. Es sollte ein Jahr dauern, bis diese Erfolg hatte.

Hausbau an der Berliner Stadtgrenze

Die Mädels brauchten Platz für das Kind. Auch im Dachgeschoss zu wohnen, ohne Lift, macht mit Kinderwagen keinen Spaß. Stellt euch vor, es werden Zwillinge?! Ein Haus war die beste Option. So gingen sie auf die Suche nach passenden Grundstücken und Häusern. Der Nord-Osten sollte es werden, zumal sie schon in Mahlsdorf wohnten. Norman und ich waren zufriedene Friedrichshainer und liebten das urbane Leben, aber als die Mädels fündig wurden und neben ihrem reservierten Grundstück noch eins frei war, wurden wir schwach. Wenn Familie, dann richtig. Also bauten wir gemeinsam Häuser an der Berliner Stadtgrenze in Hoppegarten. Jeder baute sein Haus, jeder auf seinem Grundstück, aber nur 6 Meter voneinander entfernt.

Während unserer Bauphase lernten wir einen kleinen Vietnamesen kennen, der vor allem mir den Kopf verdrehte. Wir nahmen Duong in unserer Wohnung als Untermieter auf und verliebten uns beide in Ihn.

Die Mädels fanden das anfangs gar nicht lustig, aber gewöhnten sich irgendwann an Ihn. Mittlerweile ist Duong mit mir verheiratet und gehört fest zu uns.

Das Haus wurde im September 2013 fertig und wir konnten einziehen. Endlich musste ich nicht mehr 15 km zur Samenspende nach Mahlsdorf fahren, es vereinfachte wirklich einiges. Die Schwangerschaft ließ aber noch auf sich warten.

Positiver Schwangerschaftstest

Ich plante, Ende 2013 noch einen vierwöchigen Urlaub, und danach gab es (mal) wieder einen Versuch. Diesmal sollte es gleich klappen. Anfang des Jahres 2014 kam das Bild mit den zwei Streifen auf dem Schwangerschaftstest via Whatsapp aus dem Nachbarhaus. Freude, nein, riesige Freude kam auf. Jemand meinte es wohl gut mit uns. Jetzt noch Daumen drücken und niemandem davon erzählen, da man ja nie weiß, ob es wirklich klappt.

Der Sommer kam, die Kugel am Bauch war nicht mehr zu übersehen und wir konnten die Freude mit unseren Familien teilen. Alle Elternteile waren glücklich darüber, ein gutes Gefühl meiner Mutter die Nachricht zu überbringen, dass sie Oma wird.

Doppelgeburtstag bei Automatenkaffee

Der Geburtstermin wurde auf den 13.11.2014 errechnet. Mensch, drei Tage vor Normans Geburtstag. Alle scherzten schon darüber, wenn ER mit Verspätung kommen würde. Und es sollte auch genau so kommen. Am Abend, den 15.11. fuhren die Mädels mit Wehen in die Klinik. Wir hinterher, da wir keinem trauten, der meinte: “ Wir sagen euch Bescheid, wenn es soweit ist.” Also verbrachten wir ca. 12 Stunden auf einem Neonleuchtenkrankenhausflur. Mittlerweile hatte Norman Geburtstag und es gab leckeren Automatenkaffee.

Aber alles Warten war vergessen, als die Kreißsaaltür aufging und wir lächelnd herein gebeten wurden.

Jaron Johannes & seine Regenbogenfamilie

Da lag er, der kleine Wicht. (Selbst beim Schreiben bekomme ich feuchte Augen, wenn ich an diesen Moment denke) Er war größer, als ich dachte. Er war schön. Jaron schaute mich mit seine großen Augen an, ich wusste gar nicht, wie ich ihn halten sollte. Er ist doch sicher zerbrechlich, dachte ich und versuchte nichts falsch zu machen. Die Krankenschwestern übten etwas mit mir, nahmen uns die Angst und wir durften schon beim ersten Windeln dabei sein. Am wohlsten fühlte ich mich, wenn er zurück an Mamas Körper lehnte. Das ist in manchen Situationen heute noch so. Mama ist eben Mama und das ist auch gut so.

Wir gaben ihm den Namen Jaron Johannes. Jaron war der Wunsch der Mädels. Ich wusste immer, unser Sohn muss Johannes heißen. Sicher rufen wir ihn Jaron heute, aber er wird immer den Wunschnamen der Väter tragen.

Heute, mehr als sieben Monate nach seiner Geburt sind wir eine richtige Regenbogenfamilie. Die Mädels, Norman, Duong und ich.

Jaron hat vier Omas und drei Opas, er wird sicher verwöhnt später.

Ich hätte im Traum nicht daran gedacht, dass sich alles so positiv entwickelt. Wir haben Jaron zwei Mal in der Woche fest. Vorzugsweise treffen wir uns am Nachmittag, Sonntag schon viel früher. Wir essen gemeinsam und haben das so genannte “Abendprogramm” mit Waschen, Zähne putzen (er hat schon sechs davon) und ins Bett bringen. Die Mamas schauen oft in der Woche vorbei oder wir gehen zu ihnen. Es gibt kaum noch einen Tag, an dem wir Jaron nicht zu Gesicht bekommen. Heute lächelt er Daddy an und wenn wir ihn auf dem Arm haben, kuschelt er Wange an Wange. Er wird dann still und man hört ihn atmen. Es ist einfach diese unendliche Liebe, die man dabei erfährt. Eine Erfüllung, welche man ohne Kind nicht kennt. Für nichts in der Welt würden wir das je eintauschen wollen.

Heute wissen wir, das war nicht das letzte Kind. Ich persönlich würde mich über zwei weitere freuen. Ich hoffe, dass jeder, der diesen Vaterwunsch hegt, auch die Möglichkeit bekommt, Vater zu werden. Ich wünsche mir von der Politik, dass diese Art der Familienform eine Anerkennung erfährt. Kinder müssen mehr als zwei Elternteile vor dem Gesetz haben dürfen.

#lovewins

Christian

Die Deutsche Welle hat die Familie im Jahr 2015 portraitiert:

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