Ist das Familienrecht noch zeitgemäß?

Gesellschaftliche Veränderungen kommen und gehen. Bis sie juristisch abgebildet werden, unterliegt oftmals einer anderen Zeitrechnung. “Ist die rechtliche Zuordnung eines Kindes zu Mutter und Vater gem. §§ 1591, 1592 BGB noch zeitgemäß?” Dieser Frage ist Pawel Rydygier in seiner Diplomarbeit nachgegangen. Im Interview beantwortet er aktuelle Themen zum Familienrecht.

Pawel Rydygier

Was ist Familie?

Familie ist aus meiner Sicht eine soziale Verbindung zwischen Einzelnen, die in einer tiefgehenden Solidarbeziehung zueinanderstehen, welche dem Grunde nach auf Dauer angelegt ist. Das geht meines Erachtens über das traditionelle Familienverständnis, welches aus einer Verantwortungsgemeinschaft zwischen miteinander verheirateten Eltern besteht, hinaus. Nicht nur die medizinischen Möglichkeiten machen es inzwischen möglich, dass genetische, biologische und soziale Elternschaft auseinanderfallen kann, auch gesellschaftlich hat sich das Familienmodell erheblich verändert. Die Definition von Familie ist daher immer auch im Kontext des jeweiligen Zeitgeistes zu sehen.

Mutter-Mutter-Kind. Das ist uns nicht neu. Dafür gibt es bereits rechtliche Regelungen. Die Stiefkindadoption in Zeiten der „Ehe für alle“ wird aber zunehmend kritisiert und als diskriminierend empfunden, da in eine verschiedengeschlechtliche Ehe hinein geborene Kinder automatisch Frau und Mann als Mutter und Vater haben. Gäbe es Ihrer Meinung nach bessere rechtliche Möglichkeiten?

Die gesetzlichen Regelungen zur „Ehe für alle“ ließen abstammungsrechtliche Fragen unbeantwortet und haben bestehende Ungleichheiten nicht vollends ausräumen können; eine Mitmutterschaft oder Co-Vaterschaft gibt es auch weiterhin nicht. Das hat beispielsweise zur Folge, dass zwei rechtmäßig miteinander verheiratete Frauen eben nicht automatisch auch beide Mütter eines Kindes werden. Damit hat das Kind erstmal nur einen rechtlichen Elternteil. Diejenige Frau, die das Kind nicht geboren hat, kann nur durch die Stiefkindadoption in die rechtliche Stellung eines Elternteils gelangen.

Der Gesetzgeber könnte dem Beispiel anderer Staaten folgen und etwa eine Anerkennungsmöglichkeit für gleichgeschlechtliche Paare schaffen sowie den Automatismus, wonach Vater des Kindes derjenige Mann ist, der im Zeitpunkt der Geburt des Kindes mit der Mutter verheiratet war, auch auf gleichgeschlechtliche Ehepartner ausweiten. Denkbar wäre auch, die rechtliche Vaterschaft durch eine geschlechtsunabhängige zweite Elternstelle zu ersetzen, welche Kraft Ehe, Anerkennung oder Feststellung besteht. Damit wäre nicht nur der Weg für eine Mitmutterschaft oder Co-Vaterschaft frei, auch das Kind wäre nicht mehr benachteiligt und hätte ab Geburt zwei Elternteile – mit allen daraus resultierenden Rechten und Pflichten.

Und wie sähe das in der Konstellation Vater-Vater-Mutter-Kind aus?

Eine „echte“ plurale Elternschaft mit mehr als einer Mutter und einem Vater existiert nach deutschem Recht nicht. Allerdings ist durchaus denkbar, dass einzelne Elternrechte mehr als zwei Personen übertragen werden, zum Beispiel das Sorgerecht. Dem steht jedoch eine diesbezüglich kaum vorhandene Gestaltungsfreiheit entgegen. Insbesondere in Fällen, in denen das Kind über beide rechtliche Elternteile verfügt, erscheint es daher fraglich, ob der Gesetzgeber eine dahingehende Liberalisierung überhaupt für notwendig und angemessen hält. Hier scheint es große Bedenken zu geben, was die Umsetzbarkeit im Alltag angeht.

Es müsste etwa geklärt werden, wem das Sorgerecht im Falle einer Trennung zusteht (bei einer Mehrelternfamilie damit einhergehend auch die Frage, wer sich von wem trennt und wer weiterhin zusammenbleibt). Auch erb- und unterhaltsrechtliche Fragen sind in Fällen von Mehrelternfamilien bisher nicht gelöst.

Seit 2017 gibt es das sogenannte „Samenspenderregistergesetz“, das mehr Sicherheit für Spender und Kinder schaffen soll. Es kommt bei Spenden, die über Kinderwunschzentren laufen, zum Tragen. Welche Sicherheit bringt es genau mit sich und wie ist es mit den privaten Spenden zu Hause, die ohne jegliche medizinische Unterstützung erfolgen?

Mit dem Samenspenderregistergesetz hat der Gesetzgeber erstmals eine verbindliche Regelung für die Speicherung und Verarbeitung von Spenderdaten geschaffen. So sollen nunmehr die Daten des Spenders für die Dauer von 110 Jahren in einem zentralen Register gespeichert werden. Auch die Identität der Empfängerin sowie die Daten des aufgrund der Samenspende geborenen Kindes werden in dem Register festgehalten. Ein Anspruch auf Auskunft aus dem Samenspenderregister hat jeder, der vermutet, durch eine Samenspende im Wege einer ärztlich assistierten Befruchtung gezeugt worden zu sein. Der Samenspender wird zudem geschützt, er kann nicht mehr als rechtlicher Vater des Kindes festgestellt werden. Eine längst überfällig gewordene Regelung zugunsten des Samenspenders und des Kindes – schließlich ist auch das Kind gegenüber seinem rechtlichen Vater zum Unterhalt verpflichtet.

Allerdings erfasst das Register lediglich offizielle Samenspenden, die auch im Rahmen einer ärztlich unterstützen Behandlung verwendet wurden und auch nur diejenigen Fälle, die nach Inkrafttreten erfolgt sind. Somit sind private Samenspender nicht von einer Feststellung der Vaterschaft geschützt. Für lesbische Paare wäre aber eine verlässliche Regelung der privaten Samenspende von großer Bedeutung, denn ein Verzicht auf die rechtliche Vaterstellung kann nicht vertraglich zwischen dem Spender und der Empfängerin vereinbart werden. Der private Samenspender trägt also das Risiko, jederzeit als rechtlicher Vater des Kindes festgestellt zu werden. Bestehende Familien könnten dadurch gespalten werden.

Von Kindesbeinen an wissen wir, dass Mutter und Kind eine Einheit sind. Biologisch-genetisch zunächst und später auch psycho-sozial. Das wird uns gespiegelt in Literatur, Film, Malerei etc. Durch reproduktionsmedizinische Verfahren aber, ist diese Selbstverständlichkeit manchmal auch infrage gestellt. Beispielsweise wenn es sich um Eizell- oder Embryonenspende handelt. Was sagt das Recht dazu?

Unter Eizellspende versteht man die Übertragung einer fremden, unbefruchteten Eizelle auf eine andere Frau, beispielsweise weil diese selbst keine Eizellen produzieren kann. Das Kind wir dann zwar von der Frau ausgetragen und geboren, ist aber genetisch nicht mit ihr verwandt. Ist die Eizelle hingegen bereits befruchtet und entwicklungsfähig, so spricht man von einem Embryo.

Eizell- und Embryonenspende sind in Deutschland gesetzlich verboten. Schon die Entnahme des Embryos ist verboten, wenn sie mit dem Ziel erfolgt, den Embryo anschließend spenden zu wollen. In zahlreichen europäischen Ländern hingegen sind Embryospenden, genau wie Eizellspenden, erlaubt und werden auch vielfach zur Erfüllung des Kinderwunsches durchgeführt.

Nach deutschem Recht ist diejenige Frau, die das Kind geboren hat, rechtliche Mutter des Kindes, auch wenn keine genetische Verwandtschaft zwischen ihr und dem Kind besteht. Betroffenen stehen daher – ganz im Gegensatz zur Leihmutterschaft – nicht vor abstammungsrechtlichen Problemen was die rechtliche Elternstellung angeht.

Was ist Familie in 15 Jahren?

Die zahlenmäßige Entwicklung alternativer Lebens- und Familienformen und auch die bisherige Rechtsprechung machen deutlich, dass die Frage der Abstammung – und damit auch der Familie – einem stetigen Wandel unterliegt. Ich wünsche mir, dass diejenigen Lebensformen, die wir gesellschaftlich heute schon als Familie akzeptieren, in Zukunft auch einen stabilen und verlässlichen rechtlichen Rahmen erhalten, welcher sowohl der aktuellen Entwicklung in der Medizin als auch der sich verändernden gesellschaftlichen Lebensumstände Rechnung trägt. Nur wenn das Abstammungsrecht die aktuellen sozialen, ethischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Überlegungen abbildet, wird es auf eine möglichst breite Akzeptanz aller stoßen und somit den Begriff Familie adäquat abbilden können.

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