Die Wahl einer Lebensform soziologisch verstehbar machen

Henrike Hartmann ist freie Journalistin und hat gerade erfolgreich ihre Bachelorarbeit zum Thema des Elternwerdens ohne romantische Beziehung abgeschlossen. Für ihre Arbeit hat sie vier Menschen von Familyship interviewt und deren Motivation für eine Co-Elternschaft beleuchtet.

Henrike, du selbst bist noch recht jung, wie bist du überhaupt auf das Thema der Co-Elternschaft aufmerksam geworden?

Ich würde sagen, persönliche Erfahrungen haben bei mir schon früh dazu beigetragen, das Idealmodell der auf romantischen Liebe basierenden Familie zu hinterfragen. Eine Zeit lang habe ich eine (queer-)feministische Radiosendung mitproduziert. Für einen meiner Beiträge habe ich mich mit dem Ideal der romantischen Liebe beschäftigt – und der Frage, ob wir unsere Geborgenheit nicht genauso gut jenseits dieser Norm finden können. Auf der Suche nach Interviewpartner:innen bin ich dann auf Familyship aufmerksam geworden und habe mich dann direkt an Christine gewandt! Seitdem hat mich das Thema nicht mehr losgelassen, ich habe einen weiteren Podcastbeitrag zu dem Thema produziert – und zuletzt auch in meiner Bachelorarbeit zu Co-Elternschaften geforscht.

Gibt es heutzutage überhaupt noch ein „Idealmodell“ von Familie?

Ja, ich glaube, es ist unstreitbar, dass sich das gesellschaftliche Verständnis von „Familie“ immer noch sehr an dem Bild der „Normalfamilie“ orientiert – dem Verbund aus einem heterosexuellen (Ehe-)Paar und deren leiblichen Kindern. Die romantische und paarförmige Reproduktionsnorm manifestiert sich auch im Abstammungsecht: Die Zuweisung der rechtlichen Elternschaft ist für heterosexuelle, verheiratete Eltern immer noch am leichtesten.

Was bedeutet es, wenn jemand Eltern werden möchte ohne eine romantische Beziehung zu führen, welche Familienkonstruktionen sind in diesem Fall denkbar?

Der Mensch wird mit Vielem alleine fertig – sich selbst befruchten gehört nicht zum menschlichen Repertoire. Wünschen wir uns ein leibliches Kind, setzt das also im weitesten Sinne die „Interaktion“ mit einer Person komplementärer Fruchtbarkeit voraus. Idealtypisch basiert diese Interaktion auf einem Arrangement romantischer Liebe – aber die nötige Interaktion kann ja auch anders entstehen: Verfügen Personen mit Kinderwunsch über die Fähigkeit, Eizellen zu produzieren, besteht die Möglichkeit einer Privat- oder Fremdsamenspende. Schwieriger stellt sich die Situation für Personen dar, die Samenzellen produzieren und sich ein leibliches Kind wünschen: Leihmutterschaften sind nur im Ausland realisierbar. Eine weitere Möglichkeit ist die Co-Elternschaft: Im Konzept der Co-Elternschaft ist die einfache Nutzen-Logik verankert, sich eine Person komplementärer Fruchtbarkeit zu suchen, die den leiblichen Kinderwunsch teilt. Jenseits der leiblichen Elternschaft gibt es weitere Möglichkeiten, z.B. Adoption, Pflegeelternschaft – oder die Übernahme von Verantwortung in Co- oder Mehrelternschaften.

Was waren die Motive deiner Teilnehmer:innen, sich für eine Co-Eltermschaft zu entscheiden, lassen sich Gemeinsamkeiten oder Unterschiede definieren?

Die Co-Elternschaft war für die vier Befragten Mittel zum gewünschten leiblichen Kind – in dem Wunsch erkennbar war bei allen vier Befragten ebenfalls das Bedürfnis nach familiärer Verbundenheit. Alle Befragten hatten es mit Umständen zu tun, die ihnen den Weg zum leiblichen Kind innerhalb einer romantischen Beziehung erschwert oder verhindert haben. Hinzu kamen individuelle emotionale Beweggründe, die den Handlungsdruck der vier Befragten erhöhten. Eine Co-Elternschaft offenbarte sich für die vier Befragten als der erfolgversprechendste Weg, den individuell als dringlich empfundenen Wunsch nach einem leiblichen Kind zu realisieren.

Was sind das für Umstände, die den Weg zu einer romantischen Elternschaft versperren können?

Manche Menschen wünschen sich so sehr das Leben in einer klassischen Familie, aber finden einfach nicht den/die richtige Partner:in an ihrer Seite für die ersehnte Familiengründung. Und wieder andere Menschen haben den/die richtige Partner:in an ihrer Seite – aber leider ist es so: Nicht alle Paare, die sich lieben, können zusammen ein Kind zeugen. Das gilt beispielsweise für die meisten schwulen oder lesbischen Paare.

Wie bewerten die Teilnehmer:innen ihre Entscheidung für eine Co-Elternschaft nachträglich?

Aufgefallen ist: Die Lebensform der Co-Elternschaft war für die vier Befragten nicht so etwas wie ein Traum oder eine Idealvorstellung, die schon immer in ihnen gewachsen ist, sondern ein “Plan B“, eine “Not-Entscheidung”, “der einzige Weg, wie es ging” oder ein “Projekt”. Aber letztendlich führte sie diese Entscheidung eben zum ersehnten leiblichen Kind!

Was wünschst du dir, aus deinem wissenschaftlichen Blickwinkel heraus, für die Zukunft der Co-Elternschaft?

Dass nicht nur immer die Differenzen zwischen der Co-Elternschaft und der „Normalfamilie“ hochgehalten werden. Ziel meiner Arbeit war es, die Wahl einer Lebensform soziologisch verstehbar zu machen, die die geltenden Prinzipien der „Normalfamilie“ auf den Kopf stellt. Bei allen Unterschieden, die zwischen romantischer und nicht romantischer Elternschaft bestehen, haben sie aber im Kern auch wesentliches gemeinsam: Beides sind Formen der Familiengründung. Und so würde ich mir wünschen, dass Co-Elternschaften eben auch als genau das gesehen werden – und sie in Zukunft auch rechtliche Legitimation erfahren. Sozialwissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet kann im besten Fall dazu führen, dass der Bedarf eines Gesetzes zur Verantwortungsgemeinschaft in Zukunft nicht mehr in Frage gestellt wird. Schön wäre es doch, wenn irgendwann ein Großteil der Gesellschaft, die Auffassung des Zukunftsforum Familie teilt: „Familie ist für uns überall dort, wo Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, Sorge tragen und Zuwendung schenken”.

Henrike, danke dir für das Gespräch!

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