Mithilfe der von Familyship bereitgestellten Rollen wird Familie neu gedacht & konzipiert

Dr. Lydia Ottlewski ist Assistenzprofessorin an der University of Southern Denmark (SDU) im Bereich der „Consumer Culture Theory“ – der Konsum- und Marktforschung aus einer kulturellen Perspektive. Dieses interdisziplinäre Forschungsgebiet ist darauf ausgerichtet, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, warum Verbraucher*innen auf eine bestimmte Weise agieren und warum die Konsumkultur entsprechende Formen annimmt. Die Forschungsansätze konzentrieren sich auf das Verständnis der Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlichen, symbolischen, institutionellen und sozialen Beziehungen und deren Auswirkungen auf die Verbraucher*innen, den Markt, Institutionen und die Gesellschaft.

Lydia hat Interviews mit den beiden Familyship- Gründerinnen geführt, Diskurse in der Medienberichterstattung analysiert, die Familyship-Plattform genauer unter die Lupe genommen und 23 Familien bzw. to-be Familien über einen Zeitraum von 1,5 Jahren begleitet. All diese Menschen hat Lydia über Familyship kennengelernt. Man könnte sagen, niemand weiß so genau wie Lydia, wer Familyship ist und was dabei herauskommen kann. Ihre Dissertation zum Thema ist mit dem Peter-Werhahn-Preis für herausragende wissenschaftliche Arbeiten ausgezeichnet worden. Erste Forschungsergebnisse zu Familyship hat Lydia bereits veröffentlicht und kürzlich in einem Podcast diskutiert.

Foto: Lars Skaaning für SDU

Lydia, deshalb die Eingangsfrage: was ist eigentlich Co-Parenting?

Co-Parenting ermöglicht es Menschen, die aus verschiedensten Gründen keine traditionelle, sogenannte nukleare Familie gründen können oder wollen, ihren Kinder- bzw. Familienwunsch dennoch zu erfüllen. Besonders spannend hierbei ist, dass das Konzept viel Gestaltungsfreiraum bietet und somit unabhängig vom Beziehungsstatus, sexueller Orientierung, oder Geschlechtlicher Identifikation auf die individuellen Lebensentwürfe angewendet werden kann. Das Ergebnis dieser individuellen Gestaltungsfreiheit haben wir in den Forschungsergebnissen beobachten können.

Was hat dich persönlich motiviert, die Co-Elternschaft genauer unter die Lupe zu nehmen?

In erster Linie habe ich mich für Familyship als digitale Plattform zur Familiengründung interessiert. In meiner Forschung beschäftige ich mich mit verschiedensten digitalen Plattformlösungen, die alternative gesellschaftliche Formen von Familie und Gemeinschaft ermöglichen, wie beispielsweise die Konzepte „Wohnen für Hilfe“, „Zeitvorsorge“ und natürlich auch Familyship. Das Konzept der Co-Elternschaft ist selbstverständlich ein zentraler Bestandteil der alternativen Familiengründung via Familyship, jedoch lag die initiale Forschungsmotivation vorwiegend darin, die gesellschaftliche Bedeutung dieser Plattform zu untersuchen und im Detail zu verstehen.

Gab es etwas Überraschendes in deinem Forschungsprozess?

Besonders überrascht hat mich die Vielfältigkeit der gewünschten bzw. bereits gegründeten Familien. Mithilfe der von Familyship bereitgestellten Rollen (aktive Mutter, Mutter mit Tantenfunktion, aktiver Vater, Vater mit Onkelfunktion, Yes-Samenspender) wird Familie neu gedacht & konzipiert – und ganz individuell auf die Lebensmodelle der Beteiligten zugeschnitten. Bei allen 23 Familien wurden bzw. werden die Familienkonstellationen (Anzahl der Eltern, Geschlechter, sexuelle Orientierung, Rollen in der Familie) anders gestaltet und gelebt.

Auch Kritisches oder Schönes?

Eine Herausforderung für alternative Familienmodelle ist der Vertrauensaufbau zu Beginn der Familiengründung. Eine Interviewteilnehmerin beschrieb es ganz passend: „In heteronormativen Liebesbeziehungen nimmt man oft einfach an, dass die Liebe und das Vertrauen zueinander mögliche aufkommende Probleme des Familienalltags mit Kindern bewältigen kann, aber in nicht-traditionellen Familienmodellen erfordert es eine alternative Herangehensweise“. Diese Herangehensweise sah in den Familiengründungsprozessen unserer Studienteilnehmer oft folgendermaßen aus: Co-Parenting Fragebögen wurden für detaillierte Gespräche und „Verhandlungen“ zur Ausgestaltung von Elternvereinbarungen genutzt; diese Elternvereinbarungen wurden oft notariell beglaubigt und im Falle von später aufkommenden Konflikten herangezogen.
Besonders positiv war es, von „Familyship‘lern“ zu erfahren, als wie „erlösend“ sie die Idee der Plattform empfunden haben: endlich einen Weg zum potenziellen Wunschkind und/oder auch einen Weg außerhalb des gesellschaftlichen Drucks mit Menschen, die ähnliche Wertevorstellungen teilen. Während des Forschungsprozesses gab es auch Familien, die sich via Familyship kennengelernt haben und ein Kind erwarteten, oder bereits ein 2. „Familyship Baby“ geplant haben – das war natürlich etwas ganz Besonderes.

Wer ist Familyship – wer begibt sich auf den Weg der Co-Elternschaft?

Familyship ist beeindruckend vielfältig. Unabhängig vom Beziehungsstatus, sexueller Orientierung oder Geschlechtlicher Identifikation teilen die Menschen auf Familyship die Herangehensweise, gesellschaftlich etablierte Strukturen kritisch zu hinterfragen und den Wunsch, Familie neu zu denken. Im Gespräch mit den beiden Gründerinnen zeigte sich zudem, dass sich die Nutzer*innen im Laufe der letzten 10 Jahre diversifiziert haben: von LGBTQ, via heterosexuellen Single-Frauen, hin zu heterosexuellen Single-Männern, die sich gerne in einer aktiven Vaterrolle verwirklichen möchten.

Gibt es Merkmale, die zum Erfolg einer Familiengründung beitragen?

Es gibt natürlich kein allgemeingültiges Erfolgsrezept zur erfolgreichen Co-Parenting Familie, da jede Familie individuell gestaltet wird und andere Ausgangspunkte, Herausforderungen, und Vorstellungen hat. Wir haben jedoch beobachtet, dass der Familiengründungsprozess oft sehr rational gestaltet wird: Vorstellungen und Ideen zur möglichen Familie werden klar und transparent vorab kommuniziert, Absprachen werden schriftlich festgehalten und gegengelesen – von beiden Parteien, sodass eventuelle später aufkommend Missverständnisse in der Auslegung der Elternvereinbarungen vermieden werden. Die Kennenlernphase wird bewusst intensiv gestaltet und mögliche Konfliktsituationen werden aktiv thematisiert. Des Weiteren ist eine ehrliche und offene Kommunikation und Reflexivität in allen Phasen der Familiengründung sicherlich eine Grundvoraussetzung.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus deiner Arbeit?

Die Erkenntnisse sind sehr facettenreich aufgrund der Vielfältigkeit unserer gesammelten und ausgewerteten Daten. Eine interessante Perspektive ist die der Familyship- Community. Ein anderer spannender Blickwinkel ist der des sozialen Unternehmertums (Artikel aktuell im Review-Prozess). Familyship- Nutzer*innen und die zugehörigen Familiengründungsprozesse wiederum eine andere (Artikel aktuell im Review-Prozess).

Gibt es noch etwas, was du gern mitteilen würdest?

Das Thema birgt noch viel Forschungspotenzial- interessierte potenzielle Studienteilnehmer*innen & bereits gegründete Familyship- Familien können sich gerne bei mir unter: lydo@sam.sdu.dk für ein Interview melden.

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