Familiärer Wandel und das Recht

Alexandra Wullbrandt ist Rechtsanwältin für Familienrecht und begegnet nahezu täglich neuen Menschen mit ihrer ganz persönlichen Geschichte und ihren individuellen familienrechtlichen Anliegen. Familyship sprach mit ihr über den Wandel von Familie.

Alexandra Wullbrandt

Frau Wullbrandt, was ist für Sie persönlich Familie?

Interessante Frage. Ich habe mir hierzu noch nie konkrete Gedanken gemacht. Ich selbst habe noch keine Kinder und bin geschieden, so dass das klassische Familienmodell – Mutter, Vater, Kind – auf mich so nicht zutrifft, womit ich auch ganz zufrieden bin. Ansonsten sind Personen, die ich liebe, denen ich vertrauen kann und auf die ich zählen kann, für mich Familie.

Nehmen Sie eine Veränderung der Bedeutung von Familie in der Gesellschaft wahr?

Durchaus, es ist keinesfalls mehr so, dass das Institut Ehe eine Notwendigkeit darstellt, um eine Familie zu gründen. Ein Kind ohne (Ehe-)Mann zu bekommen, ist längst kein Tabuthema, sondern genau wie die Patchwork-Familie alltäglich geworden.
Eine durchaus große Anzahl meiner Mandanten, welche aus allen gesellschaftlichen und sozialen Schichten stammen, ist oftmals bereits in 2. oder 3. Ehe verheiratet oder hat Kinder aus mehr als einer vergangenen Beziehung.

Die Veränderung wird auch an den Änderungen in der Gesetzgebung und der Rechtsprechung deutlich: Während bis 2013 nur der verheiratete Vater „automatisch“ die elterliche Sorge gemeinsam mit der Mutter inne hatte, war es dem Unverheirateten gegen den Willen den Mutter fast unmöglich, die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind zu erhalten. Es blieb damit immer bei der Alleinsorge der Mutter. Erst 2013 hat der Bundestag beschlossen, dass der einschlägige § 1626 a BGB, den das Bundesverfassungsgericht schon 2010 für verfassungswidrig erklärt hatte, neu gefasst wird. Die gemeinsame elterliche Sorge ist damit zum Regelfall geworden. Dem Vater kann die gemeinsame elterliche Sorge nur dann verwehrt werden, wenn dadurch das Kindeswohl absehbar beeinträchtigt wird.

Geht man weiter in der Geschichte zurück, findet man das „Verkehrsrecht“ des geschiedenen bzw. unverheirateten Vaters mit seinem Kind, eine Art Besichtigungsrecht am Kind, welches zu einer Art stark eingeschränktem Umgangsrecht weiterentwickelt wurde. Der Gesetzgeber ging damals davon aus, dass der Kontakt des unehelichen oder Scheidungskindes zum Vater für Kind und Vater nicht zuträglich ist. Die Eltern mussten also zwingend miteinander verheiratet sein, um an der Entwicklung des Kindes aktiv teilhaben zu können.

Heute ist es zum Glück selbstverständlich, dass Kinder regelmäßig und ausgiebig Zeit mit dem Elternteil verbringen können, bei dem sie nicht leben. Der Anspruch ist gerichtlich durchsetzbar und notfalls auch vollstreckbar. Der Gesetzgeber geht heute davon aus, dass Umgang zum anderen Elternteil dem Kindeswohl grundsätzlich förderlich ist und daher durchgeführt werden sollte. Bis man so weit kam, hat es allerdings Jahrzehnte gedauert.

Andererseits zeigt sich die veränderte Bedeutung der Familie für die Einzelnen auch an anderen Änderungen. So wurden über die vergangenen Jahre wesentliche Bereiche des Unterhaltsrechts reformiert und hierdurch die Unterhaltspflichtigen entlastet. Sowohl der nacheheliche als auch der Betreuungsunterhalt wurden zeitlich beschränkt und den Unterhaltsbedürftigen mehr Selbstverantwortung auferlegt. Früher ging man davon aus, dass eine Vollzeittätigkeit der/des Alleinerziehenden bis zum 12. Lebensjahr des Kindes aufgrund der Kinderbetreuung nicht zumutbar wäre. Heute kann dies ab dem 3. Lebensjahr des Kindes unter bestimmten Umständen von dem überwiegend oder alleinerziehenden Elternteil erwartet und entsprechend beim Unterhalt berücksichtigt werden.

Die neue Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Familienrecht führt zu einer stärken Gleichbehandlung von ehelichen und unehelichen Kindern, sowohl innerhalb der „Familie“ als auch nach außen hin, und hierdurch auch zu mehr Toleranz und Akzeptanz gegenüber neuen Familienmodellen.

Welche Rolle spielen Familienkonstellationen wie die des Co-Parenting oder die von Regenbogenfamilien in Ihrem Arbeitsalltag als Familienrechtlerin?

Auf den ersten Blick sind diese Familienkonstellationen meistens gar nicht zu erkennen, da die zu behandelnde Problematik und Fragestellung identisch zu der eines getrennten oder geschiedenen Paares ist. Erst wenn der Mandant tiefere Einblicke in seine Privatsphäre gewährt, kommt die spezielle Familienkonstellation zum Vorschein. Dann jedoch ist es meistens so, dass man zwar ein wenig Aufklärungsarbeit bei Gerichten und Jugendämtern leisten muss, allerdings gelten letztlich – und das hat sich in den letzten Jahren zum Glück verändert – für alle Familienmodelle die gleichen Regelungen und Gesetze.

Mit welchen Fragen kommen Mandaten zu Ihnen?

Beim Co-Partnering machen sich die Beteiligten häufig bereits im Vorfeld konkrete Gedanken zu den relevanten Themen Unterhalt, Umgang und elterliche Sorge, wodurch es nach der Geburt des Kindes seltener zu gerichtlichen Streitigkeiten kommt als bei getrennten/geschiedenen Paaren. Entsprechend wird mein Rat vor der Zeugung/Geburt des Kindes eingeholt und bezüglich Unterhalt, Umgang, elterlicher Sorge, Erbrecht etc. beraten.
Interessantester Punkt ist hierbei der Unterhaltsanspruch des Kindes sowie der Mutter, welche weiterhin häufig die berufliche Karriere zu Gunsten des Kindes für eine Zeit zum Ruhen bringt und dann gegenüber dem Vater des Kindes Ansprüche auf Betreuungsunterhalt entstehen können.

Gibt es Dinge in der familienpolitischen Rechtsprechung, die Sie gerne ändern würden?

Es gibt sicherlich weiterhin in einigen Bereichen Verbesserungs- und Reformierungspotential für den Gesetzgeber. Spontan fällt mir da zum Beispiel das Thema Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare ein. Wie schon in meinem Artikel beschrieben, haben Studien herausgefunden, dass Kinder gleichgeschlechtlicher Paare nicht unglücklicher sind als andere. Der Einwand der Kindeswohlgefährdung kann daher nicht greifen. Auch würden die Kinder hierdurch in Ihren Rechten, wie z.B. Unterhalt, Erbrecht, gestärkt werden. Zudem ist die sukzessive Adoption ohnehin zulässig, so dass das Verbot meiner Ansicht nach ein reines Politikum darstellt.

Im Bereich des Unterhaltsrechts besteht meiner Ansicht nach ebenfalls Änderungsbedarf, da der Unterhaltsanspruch für das Kind (nur) demjenigen Elternteil zusteht, welches die Betreuung „überwiegend“ übernimmt, wobei durchaus das “Übergewicht” von einem Tag pro Woche ausreicht. Familien, welche im Wechselmodell (Kind lebt bei beiden Eltern zu gleichen Teilen) leben oder in denen sehr häufiger Kontakt zum anderen Elternteil stattfinden (z.B. jeden Freitag – Montag), sind vom Gesetzgeber bisher ungeregelt geblieben und unterliegen der Rechtsprechung der jeweiligen Gerichte.

Als Anwältin sammeln Sie gewissermaßen verdichtete Lebenserfahrung über Ihre Mandanten. Gibt es einen Rat, den Sie unseren Nutzern bei der Gründung einer Familie mitgeben möchten?

Wie bereits gesagt, ist mir aufgefallen, dass bei Co-Partnering häufig bereits im Vorfeld grundlegende Überlegungen getroffen werden und sich die zukünftigen Eltern über ihre „Rollen“ und Aufgaben einigen. Es wäre vor allem für die Kinder wünschenswert, wenn sich auch andere (zukünftige) Eltern hieran ein Beispiel nehmen würden, da leider weder die Ehe noch eine feste Beziehung eine Garantie für ein „ewiges“ Zusammenleben darstellt und bei einer Trennung dann teilweise vieles ausgestritten wird, was bereits im Vorfeld hätte geklärt bzw. abgesprochen werden können.

Auch kann ich jedem Elternteil nur raten, aufgrund der Kindererziehung nicht gänzlich oder zu lange aus dem Berufsleben auszusteigen. Wie bereits erwähnt, ist das Unterhaltsrecht reformiert worden und dem Unterhaltsberechtigten Elternteil damit auferlegt worden, trotz Kindererziehung intensiver und frühzeitiger um eigenes Einkommen zu erzielen.

Frau Wullbrandt, vielen Dank für dieses Gespräch.

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