Sechs Jahre Co-Elternschaft: Jennifer berichtet von den Anfängen bis heute

Mein Name ist Jennifer, 41 Jahre und ich lebe seit fast 7 Jahren in einer Co-Elternschaft. Unsere Tochter wird jetzt 6 Jahre alt und war so ziemlich die beste, mutigste und verrückteste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Getrennt habe ich mich mit 34 von meinem damaligen Partner, weil er dann doch keine Kinder haben wollte.

Nach der Trennung war für mich klar: „Ich mach das alleine!“

Für mich war das der absolute Schlag ins Gesicht, ich war so wütend, besonders, weil ich gedacht hatte, dass es dieser Mann nun sein wird. Heute denke ich: gut, dass er es nicht war, denn so entspannt wie meine Elternschaft jetzt verläuft, wäre das mit ihm niemals gewesen. Nach der Trennung war für mich klar: „Ich mach das alleine!“ Das hatte ich mir seit ich Mitte 20 war schon vorgenommen. Irgendwie merkst du ja schon, was du für ein Typ bist und bei mir hat es mit den Beziehungen eigentlich nie wirklich gut geklappt. Also alleine. Ich wollte erst eine Samenspende von der Samenbank, also den Weg der Solomutter, wählen.

Jennifer lebt mit ihrer Tochter in einer Co-Elternschaft

Durch Zufall habe ich von einer Kollegin das Modell der Co-Elternschaft vorgestellt bekommen und sie hat mir auch gleich meinen Co-Vater mitgeliefert. Das habe ich als Wink des Schicksals gesehen und habe zugegriffen. Ich hatte es also sehr leicht, der Mann war vorausgewählt, arbeitet in der gleichen Firma wie ich, ich habe ihn nicht im Internet kennengelernt. Besser geht es kaum. Und so bin ich ziemlich blauäugig an die Sache herangegangen. Ich habe mich zwar vorbereitet, mit einer langen Liste an Ideen und ein bisschen googeln, wie das denn rechtlich so aussehen könnte, aber viele Infos gab es damals auch nicht wirklich. Das ist heute zum Glück anders. Wenn du dich besser vorbereiten möchtest, als ich damals, dann steht dir diese Checkliste für Co-Eltern zur Verfügung.

Als Liebespaar wären wir grauenhaft – als Eltern funktionieren wir richtig gut

Unser erstes Treffen war richtig gut, da wir Kolleg*innen sind, gab es kein peinliches Schweigen oder unangenehmes Gefühl. Wir haben so ziemlich alles besprochen, was uns eingefallen ist. Vom Nachnamen bis zum Betreuungsmodell. Ich mit Liste, er ganz unvoreingenommen. In allen unverhandelbaren Punkten waren wir uns einig, der Reste passte auch. Wir sind sehr unterschiedlich, fast gegensätzlich, aber beim Elternsein ergänzen wir uns genau passend. Als Liebespaar wären wir sicher grauenhaft, ich ihm viel zu anstrengend, er mir viel zu langweilig. Als Eltern funktionieren wir aber richtig gut. Das wussten wir vorher natürlich nicht, aber vom Bauchgefühl her passte es für uns beide, also haben wir uns noch ein paar Monate kennengelernt und dann losgelegt. Ich habe in der Zeit viel nachgedacht, es schien aber alles zu passen und es schien mir wirklich die erste realistische Chance in meinem Leben zu sein, mein Wunschkind zu bekommen.

Irgendwann habe ich ihn angerufen und habe gesagt: „Lass uns das machen!“ Schwanger geworden bin ich mit der Bechermethode beim ersten Versuch, ich hatte also gar keine Zeit mehr, um doch zu hadern oder zu zerdenken. Nach der Geburt klappte eigentlich alles so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Obwohl alles ganz anders war, denn die Planung hat natürlich Grenzen. Ich wusste nicht, dass mich ein Kaiserschnitt, ein Schreibaby, ein wirklich hartes Jahr erwartet. Was ich bei aller Planung ganz wichtig finde, ist zu bedenken, dass noch eine dritte Person in die Familie kommt. Eine zwar kleine Person, die aber sehr genaue Vorstellungen davon hat, was sie will. Meine Tochter zum Beispiel ist zwei Jahre lang kein Auto gefahren, nur hysterisch kreischend, eine Tortur für alle. Hätten wir geplant, sie mit dem Auto hin- und herzufahren, weil wir weiter auseinander wohnen, es hätte nicht funktioniert. Was ich so auch nicht gedacht hätte, ist, dass der Papa zwar nicht jeden Tag da ist, aber trotzdem dank neuer Medien sehr präsent. Die Kleine und er telefonieren jeden Tag via Facetime, es gibt auch zwischen uns immer etwas abzusprechen. Auch wenn wir keine romantische Beziehung haben, so gibt es doch eine intensive zwischenmenschliche Beziehung, an der auch gearbeitet werden darf. Bei uns gibt es selten mal Differenzen, aber auch die müssen aufgearbeitet werden und die Beziehung entwickelt sich. Anders als in meinen vorherigen Beziehungen kann ich hier aber klare Grenzen setzen und meine Wünsche besser formulieren.

Ich schätze an der Co-Elternschaft die Tatsache, dass ich mehrere Tage ohne Kind bin

Auch eine Co-Elternschaft unterliegt Entwicklungen. Sind wir am Anfang noch mit dem Wunsch nach einer 60/40 Verteilung angetreten, so sind wir durch verschiedene Faktoren wie Corona, Kita und dem Willen des Kindes mittlerweile eher bei 85/15. Da das für alle gut machbar ist, ist es im Moment ok so, müsste ich aber zum Beispiel mehr arbeiten, wäre das schon ein organisatorisches Problem. So leidet im Moment nur meine persönliche Freizeit, die ich allerdings sehr zu schätzen gelernt habe. Denn so sehr ich mein Kind auch liebe und so wenig ich es mir am Anfang vorstellen konnte, von ihr getrennt zu sein, so sehr schätze ich an meinem Familienmodell die Tatsache, dass ich auch mal mehrere Tage ohne Kind bin. Sie ist gut versorgt beim Papa und ich kann ohne schlechtes Gewissen Zeit für mich haben, in meiner Wohnung, entspannt, mit genug Zeit, meine Akkus aufzuladen.

„Mama, wir sind eine Familie wie alle anderen auch.“

Absolut unerwartet und in meine Planung gar nicht einbezogen war eine berufliche Weiterentwicklung. Da ich meinen Beruf als Flugbegleiterin sehr mag, hätte ich nie gedacht, dass sich in diesem Teil meines Lebens noch etwas ändern wird. Doch nachdem mein Blog über Co Elternschaft so erfolgreich ist, berate ich mittlerweile als psychologische Beraterin alleinstehende Personen mit Kinderwunsch. Mein zufällig gefundenes Familienmodell ist meine Berufung geworden. Mal sehen, wie es sein wird, wenn unsere Tochter nächstes Jahr in die Schule kommt, das ist unser nächster großer Schritt. Die starre Struktur der Schule wird sicher nochmal ganz andere Herausforderungen bringen. Und wie sieht meine Tochter unser Modell? „Mama, wir sind eine Familie wie alle anderen auch.“ Für sie macht es keinen Unterschied, ob wir Eltern in Paar sind oder waren. Ihre Familie ist eben so und für sie genau richtig. Familie ist eben da, wo Menschen sich lieben, sich unterstützen und ihr Leben teilen.

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